„Der geglaubte Christus kann kein anderer sein als der historische Jesus“

  • 12.12.2022
  • Ralf Peter Reimann

Mit mehr als 400 Seiten ist „Jeschua Bar Josef“ ein dickes Buch, aber Dirk Sawatzkis Werk über den historischen Jesus ist Kurzroman, theologisches Fachbuch und Israel-Reiseführer in einem. Da die verschiedenen Elemente – fiktive Rede, wissenschaftliche Abhandlung und archäologischer Exkurs – gut gekennzeichnet sind, kann man je nach Gusto wählen, wie man es liest. Im Interview erzählt der Duisburger Pfarrer, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den historischen Jesus seinen Glauben beeinflussen.

 

Herr Sawatzki, bald ist Weihnachten – was wissen wir eigentlich über Jesu Geburt? In der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium lesen wir von der Herbergssuche und der Geburt Jesu in Bethlehem, aber es gibt auch Hinweise, die auf Nazareth als Jesu Geburtsort hindeuten.

Dirk Sawatzki: Diese Diskussion gibt es schon sehr lange in der Theologie. Nachdem oft der Geburtsort Bethlehem als Unsinn abgetan wurde und man von der Geburt Jesu in Nazareth ausging, halte ich Bethlehem als Geburtsort durchaus für möglich. Denn die Geschichten von Flucht und Vertreibung und einer Geburt im judäischen Bergland passen in den historischen Kontext und so können wir heute wieder näher zum Text des Lukasevangeliums kommen. Aber das, was tatsächlich die Geburt Jesu ausmacht, ist natürlich nicht der Geburtsort, sondern was es für die Menschheit bedeutet: dass Gott Mensch geworden ist, dass uns Jesus auf Augenhöhe begegnet, dass eine ganz neue Begegnung zwischen Gott und Menschen möglich ist. Dass Gott Mensch geworden ist, hängt nicht am Geburtsort Bethlehem oder Nazareth.

Ein Kapitel trägt die Überschrift: „Hat Jesus wirklich gelebt?” Können Sie als Christ und Pfarrer überhaupt diese Frage ehrlich stellen und beantworten?

Sawatzki: Dieser Frage wollte ich in meinem Buch nicht ausweichen. Aufgrund meiner Beschäftigung mit dem historischen Jesus lautet für mich die wissenschaftliche Antwort: ja. Aber spätestens bei den Ostergeschichten sind wir natürlich an der Frage: Was können wir historisch belegen und wo fängt der Glaube an? Genau dieses Zusammenspiel zwischen Glauben und Wissenschaft ist wichtig und da müssen wir redlich Rede und Antwort stehen, sonst machen wir uns unglaubwürdig.

Im Buch zeigen Sie, wie sich historische Forschung und neutestamentliche Texte auch widersprechen. Was bedeutet dies für Ihren persönlichen Glauben?

Sawatzki: Es gibt immer noch Theologen, die sagen: „Der historische Jesus ist für mich nicht wichtig, das hat mit meinem Glauben nichts zu tun.“ Ich sehe das anders. Für mich baut der Glaube auf dem historischen Jesus auf. Der geglaubte Christus kann kein anderer sein als der historische Jesus. Er ist die historische Grundlage unseres Glaubens. Deshalb ist es wichtig, zu verstehen und zu fragen, was Jesus denn wirklich gesagt hat. Wenn es Widersprüche gibt, müssen wir so nah wie möglich an den Wortlaut Jesu kommen. Bei einigen Punkten gibt es auch außerbiblische Zeugnisse, die uns helfen, den historischen und somit den jüdischen Jesus und seine Botschaft besser zu verstehen. Gerade die historisch-kritische Arbeit an den Texten führt uns näher an Jesus heran und das ist mir für meinen Glauben auch wichtig.

Wie kamen Sie dazu, ein theologisches Fachbuch zu schreiben, das zugleich Reiseführer ist und auch ohne wissenschaftliche Fachkenntnis gelesen werden kann?

Sawatzki: Anlass für das Buch waren meine Reisen nach Israel, sowohl private als auch als Leiter von Reisegruppen. Zwangsläufig hat man es dann mit Archäologie zu tun und der Frage, was hat der historische Jesus an diesen Orten getan und gesagt. Meine Tochter hat mich ermutigt, das in Buchform aufzuschreiben, was ich den Reisegruppen erzähle. So entstand in fünf Jahren Arbeit ein Buch, das darlegt, was wir wissenschaftlich über Jesus sagen können. Gleichzeitig wollte ich Forschungsergebnisse allgemeinverständlich und erzählerisch darstellen und weiterdenken. Dafür habe ich die fiktive Rede gewählt und in Worte gefasst, was der historische Jesus tatsächlich gesagt haben könnte. Auf diese Weise wird bereits in der äußeren Form erkennbar, was historisch belastbar ist und wo ich Schlussfolgerungen auf das Leben Jesu ziehe. Das Buch lässt sich daher auf verschiedene Weisen lesen.

 

Dirk Sawatzki: Jeschua Bar Josef. Gedanken über die Anfänge des historischen Jesus auf Basis literarischer und archäologischer Quellen; Wbg Academic 2022, ISBN 978-3-534-40718-7, 48 Euro