Walk and Talk: Spaziergang mit der Schulseelsorgerin

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  • 15.8.2022
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  • Theresa Demski

Serie Schulseelsorge (3): Am Gymnasium August-Dicke-Schule in Solingen bietet Schulseelsorgerin Friederike Dietrich „Walk and Talk“ an: Spaziergänge bei denen Schülerinnen und Schüler darüber reden können, was sie bedrückt. Das Angebot ist das dritte und letzte Projekt, das wir in unserer kleinen Serie zur Schulseelsorge vorstellen.

Friederike Dietrich ist Schulsseelsorgerin in Solingen. Foto: Dietrich

Manchmal kommen sie zu zweit: Schulseelsorgerin Friederike Dietrich steht in der Mittagspause an ihrer Ecke auf dem Pausenhof und sieht ein Mädchen auf sich zukommen, eine Freundin begleitet sie zur Unterstützung. „Schön, dass du da bist“, sagt sie. „Wie war dein Tag?“ Der Spaziergang beginnt mit einer kleinen Plauderei – über den Unterricht, über das Wetter, über die Ferien. Gemeinsam suchen sie sich dann einen Weg aus, schlendern ins Grüne oder zum Sportplatz und lassen die Schule kurz hinter sich. Und kaum haben sie sich in Bewegung gesetzt, beginnt die Schülerin zu erzählen. Sie habe ein Referat vor sich und Panik vor jenem Moment, in dem sie vor die Klasse treten müsse. Sie könne nicht mehr schlafen und habe keinen Hunger mehr. Die Angst mache ihr wirklich zu schaffen. Friederike Dietrich bleibt dann nicht stehen. Stattdessen bleibt sie mit den Schülerinnen und Schülern in Bewegung – im doppelten Sinne. Sie machen sich gemeinsam auf die Suche nach Antworten und Lösungen.

Das Angebot sollte verlässlich und locker zugleich sein

Einmal in der Woche lädt Friederike Dietrich am Gymnasium August-Dicke-Schule in Solingen zum Spaziergang mit der Seelsorgerin ein. „Walk and Talk“ heißt diese Methode. „Ich habe mir ein ganz offenes Angebot für die Schülerinnen und Schüler gewünscht“, erzählt die Oberstudienrätin. In Zeiten der Raumnot, sollte es verlässlich sein und gleichzeitig eine Lockerheit bieten, die den Kindern und Jugendlichen die Scheu nimmt, das Gespräch zu suchen. Also hat Friederike Dietrich Rücksprache mit den Kolleginnen und Kollegen sowie der Schulleitung gehalten und das „Walk and Talk“-Angebot ins Leben gerufen. Mit Plakaten und Handzetteln hat sie die Schülerinnen und Schüler darüber informiert, dass sie jede Woche zur gleichen Zeit am gleichen Ort auf dem Schulhof wartet, um sich gemeinsam auf den Weg zu machen.

Mit Plakaten macht die Seelsorgerin auf das „Walk and Talk“-Angebot aufmerksam.

Mit Corona ist die Nachfrage sprunghaft angestiegen

Die Resonanz fiel anfangs schwach aus. Gelegentlich blieb die Schulseelsorgerin an ihrem Treffpunkt auch alleine. Corona allerdings hat alles verändert. Inzwischen fragen die Schülerinnen und Schüler unter der Woche bei ihr nach, wann sie mal zusammen spazieren gehen können. Sie vereinbart Termine, um allen Kindern und Jugendlichen gerecht werden zu können. Andere Lehrerinnen und Lehrer schicken ihre Schülerinnen und Schüler zu dem Treffpunkt. „Der Bedarf ist sprunghaft angestiegen“, sagt die Lehrerin für Evangelische Religion und Englisch, die sich am Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) der Evangelischen Kirche im Rheinland zur Schulseelsorgerin hat ausbilden lassen. Corona habe für viele Probleme wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Auch Kolleginnen und Kollegen nähmen die Einladung zum gemeinsamen Spaziergang inzwischen gelegentlich an.

„Festgefahrenes Denken kommt in Fluss“

Das Prinzip ist aber dasselbe geblieben. Sie lädt die Schülerinnen und Schüler zum Spaziergang ein. Dahinter steckt eine Philosophie: Körperliche Bewegung soll einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeiten und Ausdrucksweisen haben. Im Gehen falle es den Menschen leichter, sich selbst zu reflektieren und Zugang zu inneren Gefühlslagen zu gewinnen. „Festgefahrenes Denken kommt in Fluss“, sagt die Seelsorgerin. Stress, Gereiztheit und schlechte Stimmung könnten sich leichter auflösen. Ein weiterer großer Vorteil: „Die Schüler müssen niemandem in die Augen schauen, wenn sie zu erzählen beginnen“, sagt sie. Und das erleichtere ihnen oft das Gespräch. Dann blicken die jungen Menschen auf ihre Füße, während sie von Essstörungen oder Motivationsproblemen erzählen, von den Herausforderungen der Pandemie oder von Problemen Zuhause. „Sie kommen meistens schnell zu ihrer eigenen Fragestellung“, erzählt die Schulseelsorgerin, „schließlich haben sie sich ja auch aus einem bestimmten Grund und mit einem Anliegen auf den Weg zu mir gemacht.“ Und wenn das passiert, sei viel gewonnen. „Dann ist das Eis meistens schon gebrochen“, weiß Friederike Dietrich.

„Meistens reicht ein genauerer Blick auf sich selbst“

Die Schulseelsorgerin, die lange auch als Beratungslehrerin im Einsatz war, hat dann keinen bunten Werkzeugkoffer mit Tipps und Methoden, den sie öffnet. „Ich höre vor allem erstmal zu“, sagt sie, „und ich sehe den Menschen vor mir ganzheitlich.“ Es seien ehrliche und authentische Gespräche, die sie erlebe. Ihr gemeinsames Ziel mit den Schülerinnen und Schülern sei es dann, bestehende Ressourcen zu heben. „Meistens reicht dafür ein genauerer Blick auf sich selbst“, sagt die Schulseelsorgerin. Dann entwerfen sie gemeinsam kleine Veränderungsaufträge und die Schulseelsorgerin verabredet sich mit den Schülerinnen und Schülern zu einem zweiten Termin – wenn sich sie sich das wünschen. In den allermeisten Fällen kommen die Schülerinnen und Schüler dann alleine. Die Freundin, die sie anfangs noch mitging, brauch sie jetzt nicht mehr zu begleiten.

Serie Schulseelsorge (1): Das Take-Car-Team im Hennef bietet täglich eine offene Sprechstunde an

Serie Schulseelsorge (2): Ein mobiler Raum der Stille in Neuwied

Schulseelsorge: Werkbuch 2 erschienen

Das „Walk and Talk“-Angebot ist eines von 23 Praxisbeispielen im neu erschienenen „Werkbuch 2“ der Schulseelsorge. Die vorgestellten Projekte zeigen unter anderem wie Schulseelsorge auf Krisen wie die Corona-Pandemie reagieren kann. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Beispiele zu seelsorglichen Räumen, Projekten und Dauerangeboten. Das Werkbuch 2 steht kostenlos zum Download bereit.