„Betroffene haben ein Recht auf Aufarbeitung“

Bei der Vorstellung des Berichts über die gewaltförmigen Konstellationen im Schülerheim Martinstift am 30. März 2023 hat Vizepräses Christoph Pistorius die Betroffenen im Namen der beteiligten Institutionen um Verzeihung gebeten. Sein Statement im Wortlaut:

Betroffene haben ein Recht auf Aufarbeitung. Punkt.

Sie wollen sich nicht in Studien hinter irgendeiner Zahl suchen wollen, sondern haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen offen begegnen, zuhören, glauben und arbeiten.

Menschen im Raum der evangelischen Landeskirchen und ihrer Diakonie waren und sind sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende sind schuldig geworden als Täter*innen, Mitwissende, Wegschauende und Vertuschende. Strukturen und Kulturen in Kirche und Diakonie haben dies begünstigt, auch im Fall des Martinstiftes in Moers. Die Evangelische Kirche im Rheinland, der Kirchenkreis Moers, die Kirchengemeinde Moers und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirchen Rheinland-Westfalen-Lippe bekennen sich zu dieser Schuld.

Sie, lieber Herr Dr. Stärk, haben es einmal so formuliert, ich zitiere Sie: „Das Evangelische Martinstift sollte ein von ,christlicher Hausordnung geregeltes Gemeinschaftsleben‘ bieten und ,das Elternhaus ersetzen‘. Christlicher Geist erfüllte es jedoch nicht. Wo ,Evangelisch‘ draufstand, war nichts ,Christliches‘ drin. Wir waren ohne Wert, Würde, Bedeutung.“ Zitatende.

Dass auch nach dem Gerichtsprozess Sie, die Kinder und ihre Familien alleine gelassen wurden, ist durch nichts zu rechtfertigen und unverzeihlich.

Dass Sie beide, lieber Herr Dr. Stärk, und lieber Herr Nollau, nach all diesen Erfahrungen und so langer Zeit auf uns zugekommen sind und mit uns gemeinsam die gewaltförmige Konstellation der 1950er Jahre im Martinstift aufgearbeitet haben, erfüllt uns einerseits mit großer Dankbarkeit. Und es beschämt uns auch angesichts unserer jahrzehntelangen Untätigkeit. Dafür bitte ich Sie im Namen der Institutionen – der Landeskirche, des Kirchenkreises, der Kirchengemeinde und des Diakonischen Werkes – um Verzeihung.

Wir haben verabredet, dass die Leitungsgremien in Kirche und Diakonie (also die Kirchenleitung, der Kreissynodalvorstand, das Presbyterium und der Diakonievorstand) im Rahmen eines Workshops am 4. Mai auf der Basis des Berichts daran arbeiten, welche Konsequenzen wir aus dem Forschungsbericht ziehen. Es geht nicht um irgendein Datum in der Geschichte. Und ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie auch mit diesen konkreten Punkten, die Sie am Ende genannt haben, auch noch einmal etwas umgesetzt haben, was Sie in unserem letzten Gespräch an den Anfang gestellt haben. Sie wollen auch Wegweisung geben für die heute Handelnden. Und dafür möchte ich Ihnen noch einmal ganz herzlich danken, und selbstverständlich werden wir die Ergebnisse, die wir in der eben schon vorgestellten Konstellation erarbeiten, auch dann unverzüglich der Öffentlichkeit vorstellen. Dass wir selbstverständlich mit dem Forschungsbericht transparent umgehen, das ist schon gesetzt, weil es zwischen der Unabhängigen Beauftragten des Bundes und der EKD dazu auch eine Vereinbarung gibt, dass sämtliche Studienergebnisse, die im Themenfeld Sexualisierte Gewalt entstehen, auch grundsätzlich zu veröffentlichen sind. Aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie uns darüber hinaus noch andere Dinge mitgegeben haben. Das hilft uns, damit auch angemessen umgehen zu können.

Vielen Dank.