Pressemitteilung

„Die Zukunft der Kirche ist inklusiv“

  • 4.10.2021
  • Ekkehard Rüger
  • Tanja Hoffmann

Pastorin Gundula Schmidt, Referentin für inklusive Seelsorge im Zentrum Gemeinde und Kirchenentwicklung der rheinischen Kirche, spricht im Interview über die Folgen der UN-Konvention, die Gleichzeitigkeit von Avantgarde und Rückständigkeit und Kunstwerkstätten als gelebte Utopie.


Frau Schmidt, seit 2009 gilt in Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wie hat sie sich in der Seelsorge niedergeschlagen?
Gundula Schmidt:
Unter anderem durch die Einrichtung der Fachstelle für inklusive Seelsorge der rheinischen Kirche im Jahr 2016. Inzwischen gibt es auch eine Arbeitsgruppe „Partizipative Seelsorge“, die vom Bundesverband evangelische Behindertenhilfe ins Leben gerufen wurde und genau dieser Frage nachgeht, wie Partizipation so gelingen kann, dass unterschiedlichste Menschen an Seelsorge teilhaben können. Das betrifft auch die Ausbildung von Ehrenamtlichen. Ich habe bei dem Projekt „Erzähl mir von der Seele“ in den inklusiven Kunstwerkstätten erlebt, welches Potenzial die Menschen dort mitbringen. Inklusive Seelsorge heißt für mich: Alle können teilhaben und alle haben etwas beizutragen.

Ist die Kirche im Vergleich zur Gesellschaft insgesamt beim Thema Inklusion eher schnell oder eher langsam?
Schmidt:
Beides. Ich erlebe in meiner Arbeit die Gleichzeitigkeit von Avantgarde und totaler Rückständigkeit. Zu fragen, wo und wie Menschen mit Behinderungen selbst zu Seelsorgenden werden können, ist sehr fortschrittlich. An anderen Stellen liegt die Kirche aber auch weit zurück und wirkliche Begegnungen zwischen Menschen werden behindert.

Was muss sich noch am dringendsten ändern?
Schmidt:
Mitarbeit ist für mich der Schlüssel zur Inklusion, sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich. Wie kann ein Team diverser werden? Diese Frage muss jetzt in alle Richtungen gestellt werden.

Inklusion scheint aktuell von Debatten über Rassismus oder Geschlechtergerechtigkeit in den Hintergrund gedrängt. Hat es das Thema derzeit schwer?
Schmidt:
Die Themen gehören zusammen. Bei ihnen allen geht es um unsere Verletzlichkeit, um Privilegien und Macht, um die Frage, wie wir unsere Ressourcen verteilen, und um Menschenrechte. Daher bin ich froh, dass diese Diskussionen jetzt geführt werden. Wir streiten über Gender und Rassismus, weil wir alle darin verwickelt sind. Über Inklusion streiten wir weniger, daher wird das Thema auch schnell vergessen. Andererseits arbeitet die rheinische Kirche schon lange mit einem weiten Inklusionsbegriff. Die Zukunft der Kirche ist inklusiv. Nur so bleibt sie lebendig und relevant.

Fällt Ihnen ein besonders gelungenes Beispiel ein?
Schmidt:
Diese Kunstwerkstätten, von denen ich gerade sprach, waren gelebte Utopie. Weil da jeder und jede seinen oder ihren eigenen Ausdruck finden kann und alle als Expertinnen und Experten ihrer selbst ernstgenommen wurden. Das war ein Angebot des Bündnisses für Inklusion „Wir wollen Vielfalt“ in Kooperation mit dem Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) der rheinischen Kirche. Es gibt aber viele Momente, wo Inklusion gelingt. Mein Wunsch wäre, dass wir das noch viel mehr wahrnehmen. Inklusion ist die Kunst des Zusammenlebens sehr verschiedener Menschen.

Wie gut ist die Kirche inzwischen darin, Menschen mit Behinderung auch auch den Weg in den Pfarrberuf zu ermöglichen?
Schmidt:
Es gibt schon Pfarrerinnen und Pfarrer mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen, aber das könnte noch sichtbarer und diverser werden. Aber es geht auch um Mitarbeitende oder inklusiv besetzte Jugendgruppen. Die Bahnhofsmission in Essen arbeitet beispielsweise in Tandems. Ähnliche Projekte bestehen auch in der Altenheimseelsorge. Luthers inklusiver Gedanke der wechselseitigen Tröstung, die allen anvertraut und zugetraut wird, klingt da an.

Wo können Gemeinden mit Beratungsbedarf beim Thema Inklusion Unterstützung bekommen?
Schmidt:
Zum Beispiel bei Ralf Ramacher, der beim PTI Dozent für inklusive Gemeindearbeit ist (ralf.ramacher@ekir.de). Dann beim Fachbereich für inklusive Seelsorge im Zentrum Gemeinde und Kirchenentwicklung (gundula.schmidt@ekir.de). Und Lara Salewski als zuständige Dezernentin im Landeskirchenamt ist gerade mit der Ausarbeitung einer Inklusionsstrategie befasst (lara.salewski@ekir.de). Die Vision ist aber eigentlich, dass eine Vernetzung gelingt mit den Orten, an denen Inklusion gelebt wird. Die Menschen vor Ort wissen jeweils am besten, was sie brauchen und was umgesetzt werden kann.

Oktoberausgabe von EKiR.info

Das Interview mit Gundula Schmidt ist Teil eines Inklusions-Hintergrunds, der in der gerade erschienenen Oktober-Ausgabe von EKiR.info, dem zweimonatlichen Magazin für Presbyterinnen und Presbyter der Evangelischen Kirche im Rheinland, abgedruckt ist. Das gesamte Magazin findet sich hier zum Download.