Pressemitteilung

Zwei junge Geflüchtete haben das Abi geschafft

  • 6.4.2021
  • Marion Unger
  • Marion Unger

Mit berechtigtem Stolz nahmen Asem Adalaty und Sadegh Yousefy dieser Tage ihre Abiturzeugnisse entgegen. Die beiden 21 und 20 Jahre alten jungen Männer gehören zur ersten Generation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die fünf Jahre lang in der Interkulturellen Wohngruppe der AWO lebten und jetzt im Paul-Schneider-Gymnasium der Evangelischen Kirche im Rheinland erfolgreich ihre Reifeprüfung ablegten.

Als halbe Kinder kamen sie im Jahr 2015 mit 15 und 16 Jahren nach Meisenheim. Hinter ihnen lagen Fluchtwege voller Gefahren, die sie völlig auf sich allein gestellt zurücklegten. Asem Adalaty, der jüngere der beiden, floh mit seiner Familie vor dem Krieg in Syrien nach Ägypten. Ohne seine Eltern gelangte er von dort in die Türkei. Sadegh Yousefy musste seine Familie, die aus Afghanistan in den Iran geflohen war, dort zurücklassen. „Dreizehn Stunden sind wir über die Berge gelaufen, bis wir in der Türkei waren“, schildert er dieses Erlebnis.

Ohne Eltern über die Balkanroute nach Deutschland

Von dort aus nahmen die beiden Teenager zeitversetzt ähnliche Wege. Beide erlebten sie das Trauma der nächtlichen Fahrt in einem Schlauchboot über das Mittelmeer nach Griechenland. „Unser Boot war sieben Meter lang und darin saßen 59 Menschen“, berichtet Asem Adalaty. „Vier Stunden waren wir auf dem Wasser.“ Über die Balkanroute kamen beide mit der großen Flüchtlingswelle 2015 nach Deutschland. Sadegh Yousefi zu einem Cousin, der schon länger hier lebte, und Asem Adalaty ins Aufnahmelager in Ingelheim. Schließlich fanden sie für fünf Jahre eine Heimat in der Interkulturellen Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge der AWO im Haus Rhein, dem ehemaligen Internat des Paul-Schneider-Gymnasiums.

„Am Anfang konnte ich kein Wort Deutsch“

Dass die beiden jungen Männer nun ihre Zeugnisse der Reife in Händen halten, ist ein kleines Wunder, das sie sich durch harte Arbeit erkämpft haben. „Am Anfang konnte ich kein Wort Deutsch“, stellt Sadegh nüchtern fest. Es folgte ein Sprachkurs nach dem anderen und viel eigenständiges Lernen über digitale Kanäle. Der Kontakt zu Mitschülerinnen und Mitschülern erwies sich als äußerst hilfreich. „Dadurch lernt man die Sprache viel schneller als mit Papier und Stift“, ergänzt Asem. Vom ersten Tag an war die Schule selbstverständlicher Teil ihres Lebens. Zunächst besuchten sie die Realschule, wechselten aber rasch in die zehnte Klasse des Paul-Schneider-Gymnasiums, die sie zwei Mal durchliefen.

Unterstützung durch Kollegen im Ruhestand

„Beim ersten Durchgang gab es noch keine Noten, aber beim zweiten Mal kamen beide schnell in den Regelbetrieb“, erläutert Schuldirektorin Karin Hofmann. Sie äußert sich dankbar und anerkennend über das Engagement von Dr. Georg Meerwein, einem Kollegen im Ruhestand, der mit den jungen Geflüchteten unermüdlich arbeitet und sie auch bei Behördengängen oder Arztbesuchen begleitet. Unter anderem ist es seiner Mithilfe zu verdanken, dass sich die beiden frisch gebackenen Abiturienten jetzt auf hohem sprachlichem Niveau ausdrücken. „Die beiden kamen von null Sprachkenntnissen bis zum Abitur, das ist eine Riesenerfolg, den sie vor allem ihrer Eigeninitiative verdanken“, bewertet Georg Meerwein die Leistung der beiden jungen Männer.

Unterstützung von allen Seiten

Karin Hofmann erinnert sich noch gut an die Anfänge von deren schulischer Entwicklung: „Wir hatten praktisch nichts: keinen Plan und kein Programm, wir mussten improvisieren.“ Zusammen mit der AWO wurde ein Inklusionsmodell entwickelt und auf die Bedürfnisse der jungen Leute zugeschnitten. Die Evangelische Kirche im Rheinland stellte einen Pauschalbetrag für das Notwendigste zum Leben zur Verfügung. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) genehmigte 20 zusätzliche Lehrerstunden für die Förderklasse. Unterstützung gab es auch durch die Ausländerbehörde des Landkreises Bad Kreuznach. Und Karin Hofmann betont: „Kollegium, Schulaufsicht, Landeskirche und AWO haben das Konzept mitgetragen und wir haben es gemeinsam geschafft.“ So geriet die Schullaufbahn der beiden jungen Männer zu einer Erfolgsgeschichte, auf die nicht nur sie selbst, sondern auch das Paul-Schneider-Gymnasium und die AWO gleichermaßen stolz sind.

Nächste Schritte: Studium und Ausbildung

Inzwischen haben Sadegh und Asem den geschützten Wohnbereich Haus Rhein verlassen. Asem wohnt in Meisenheim. Er will in Kaiserslautern Bauingenieurwesen studieren und weiter für die SG Schmittweiler-Callbach/Reiffelbach-Roth Fußball spielen. Seine Bilanz des Lebensabschnitts lautet: „Unsere Lehrer haben an uns geglaubt und uns unterstützt. Auch unsere Mitschüler haben viel geholfen – dafür bin ich sehr dankbar.“ Sadegh, der jetzt in Odernheim zu Hause ist, strebt eine Ausbildung zum Einzelhandelsfachwirt an. Er ergänzt: „Ich bin glücklich, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte und zur Schule gehen durfte. Ich habe zwar Sehnsucht nach meiner Familie, aber ich bin froh, dass ich hier normal leben kann.“